Samstag, 10. Oktober 2020

Rum Artesanal New Yarmouth 1994 vs. Demerara

Zugegeben etwas spät, aber besser als nie ;-) Dieses vollständig tropisch gereifte Bottling von Rum Artesanal hat im Sommer 2020 durchaus für einiges an Aufsehen in der Rum-Szene gesorgt - wie bei so vielem von Rum Artesanal in den letzten 1-2 Jahren. Liest und hört man sich in der Szene etwas um, stößt man sehr oft auf Vergleiche zu (tropischen) Column-Demerara-Rums. Ich bin zwar noch kein Über-Demerara-Nerd und werde es auf Grund der heftigen Preise für die alten Veliers auch vermutlich niemals sein, aber etwas tropischen Saft aus Guyana hab ich dann doch im Schränkchen, um zumindest einen kleinen Vergleich anzustellen. Die beiden Vergleichspartner im Ring heute sind einmal der Velier Diamond 1999 SVW 15 Jahre und einmal der El Dorado Skeldon 2000 18 Jahre. Es sei noch erwähnt, dass mir das Titelbild von Dominik Marwede von Rum Artesanal freundlicher Weise zur Verfügung gestellt wurde. Danke dafür!
New Yarmouth 1994 25 Jahre
Rum Artesanal, 67,7%,
2 Fässer eines (größeren) 1994er Column-Still-Batches, welches 25 Jahre auf Jamaika bei J. Wray & Nephews reifen durfte und im Jahr 2020 an diverse Abfüller (darunter Sansibar/Wild Parrot und Romdeluxe) ging. Rum Artesanal hat - wenn ich mich nicht irre - die erste dieser Abfüllungen auf den Markt gebracht. Rum Tasting Notes App Link
NASE: Wuchtig und voll. Karamell, Vanille, Kokosnussfleisch, Kakao und Rosinen sind das erste, was mir aus dem Glas entgegenkommt. Ich habe auf jeden Fall ein klassiches und richtig gutes Column-Still-Profil vor mir stehen. Weiter rieche ich noch Lösungsmittel (hier recht eindeutig für mich Klebstoff), Orangenschale, etwas Nüsse und Gewürze wie Muskat, Nelken und schwarzen Pfeffer. Die 25 Jahre kommen gut rüber ohne zu viel Eiche mitzubringen. Das Bouquet ist warm, dunkel und komplex. Ich kann der "Demerara-Theorie" hier nicht wirklich wiedersprechen bisher. Meine Nase wandert zu den beiden Rums vom Demerara River rüber.... Der 1999er SVW ist dann doch schon deutlich monströser und dunkler, obwohl ganze 10 Jahre jünger. Erdiger, ledriger, dreckiger (Gummi) und intensiver. Süßer, klietschiger Kuchen mit Orangeat. Mal sehen, was der Skeldon 2000 sagt: Viel Rum-Rosinen, Backpflaumen, Schokolade, Zimt und Vanille. Der Skeldon wirkt - obwohl ich ihn sehr mag - etwas "obszön" und "simpel" neben den anderen beiden.

GAUMEN: Kraftvoll. Zuerst viel Toffee, Schokolade und Kokos, dann zunehmend trockener werdend mit ordentlich Eichenwürze. Der Alkohol ist richtig gut eingebunden. Im Vergleich ist der 1999er SVW deutlich öliger und weniger trocken. Beim SVW habe ich mehr Backpflaumen und Zimt und ein etwas intensiveres und schöneres Mundgefühl. Der Skeldon hat auch wieder viel Backpflaumen und Zimt und zudem noch sehr viel Milchschokolade und -Kaffee.

ABGANG: Weiterhin Toffee, Kokos, Schokolade und trockene Eichenwürze. Der SVW zeigt sich hier auch wieder öliger, voller, fruchtiger, weniger trocken und dreckiger. Der Skeldon spielt hier wieder seine Backpflaumen, Zimt und Schoko-Kaffee Karten aus.

KOMMENTAR: New Yarmouth 1994 von Rum Artesanal ist ein klasse Rum - das schonmal vorneweg. Rein wertungstechnisch würde ich ihn zwischen dem 1999er SVW und dem Skeldon 2000 sehen. Gegen den SVW haben beide einfach keine Chance. Ob ich den New Yarmouth nach diesem kleinen Dreier-Tasting nach Guyana packen würde? Ich denke eher nicht, auch wenn natürlich Parallelen vorhanden sind. Die beiden Demeraras haben mehr fruchtige, (natürliche) Süße und dann dieses Column-Demerara-Profil eben mit Nelken, Zimt, Orangenschale, Melasse und etwas dreckigen Elementen (zumindest beim SVW mit deutlichem Gummianteil). Ob ich das alles blind erkannt hätte, bezweifle ich natürlich, aber eines hätte ich ganz bestimmt nicht erraten: Nämlich, dass der New Yarmouth ein Jamaikaner ist. Eher hätte ich auf einen sehr, sehr, sehr guten "Spanier" oder einen "Spanier"/Demerara-Blend getippt.
92/100
Auch, wenn der folgende Rum nicht wirklich in das heutige Line-Up reinpasst, hänge ich ihn hier trotzdem an, da er die andere Seite von New Yarmouth zeigt. Die Jamaika-typsche, wenn man so will. Pot-Still und viel Ester.
New Yarmouth 2009 10 Jahre
Rum Artesanal, 66,9%,
Dieser Rum kommt - wie schon erwähnt - aus einer Pot-Still und erfuhr vorher eine vermutlich recht lange Fermentation, denn als Estergehalt wird 750 gr/hlpa angegeben, was bei Hampden etwas über einem HLCF läge. Rum Tasting Notes App Link
NASE: Eine schöne, fruchtige High-Esteraromatik kommt mir da aus dem Glas entgegengeschossen. Herrliche Lösungsmittel, überreife Früchte wie Ananas, Banane und Orangen. Dazu Marzipan und Vanille. Das ist 1A-Hampden-Style. Seine jungen 10 Jahre merkt man ihm durchaus an, aber nicht negativ.

GAUMEN: Sehr kraftvoll werden einem die Ester um die Ohren geschmettert. Das Mundgefühl ist nicht ganz so cremig wie etwa bei Hampden, aber kommt dem auch wieder ziemlich nahe, so dass der sehr hohe Alkoholgehalt kaum auffällt mit kleineren bis mittleren Schlücken. Das ist schon echt klasse für einen 10-jährigen (in Europa gereiften) Rum mit 67%! Mir macht hier die tolle Balance zwischen Cremigkeit, Süße und Säure richtig Spaß!

ABGANG: Weiterhin cremig und mundausfüllend. Bananen, Ananas und Marzipan... und plötzlich ist er weg. Der schwächste Part an diesem ansonsten richtig tollen Rum!

90/100